Herr Gogolin, Herr Preiss worum ging es in Ihrem Projekt HFAK und was haben Sie erreicht?
Philipp Preiss: Das Ziel des Projekts HFAK war es, Expertinnen und Experten zu ultrakalten fermionischen Fermigasen zur Quantenchemie zusammen zu bringen. Im Prinzip verfolgen die Quantenchemie und Quantenphysik ein sehr ähnliches Ziel, nämlich die Berechnung von Grundzuständen wechselwirkender Elektronensysteme. Für die Chemieindustrie sind solche Berechnungen ganz essenziell, da sich mit diesen die Pfade und Produkte chemischer Reaktionen bestimmen lassen. In unseren Laboren zu ultrakalten Atomen lösen wir Probleme stark wechselwirkender Fermionen nicht mit klassischen Computern, sondern mit sogenannten Quantensimulatoren, die auf quantenmechanischen Systemen basieren und natürlicherweise Grundzustände mit den richtigen Symmetrien und Erhaltungsgrößen produzieren. Allerdings sind unsere Apparaturen nicht ausreichend programmierbar, um einfach beliebige Berechnungen aus der Quantenchemie ausführen zu können.
Christian Gogolin: Es ist uns gelungen, eine Übersetzung eines Algorithmus aus der Quantenchemie zu Simulatoren mit ultrakalten Quantengasen zu finden. Damit ist es nun tatsächlich möglich, Probleme aus der Chemie auf unseren Apparaturen aus der Grundlagenforschung zu lösen. Unsere Arbeit zeigt einen End-to-End-Workflow vom numerischen Modell eines Moleküls zu einem kompilierten Gatterschaltkreis, der auf einem Quantensimulator ausgeführt werden muss. Damit können wir genau abschätzen, welche Ressourcen zur Berechnung molekularer Energien auf Quantenhardware nötig sind. Aktuell schauen wir uns dabei noch kleine Testmoleküle ohne industriellen Nutzen an, aber wir sind zuversichtlich, dass die Entwicklung hin zu größeren Molekülen voranschreiten wird.
Philipp Preiss: Wir freuen uns natürlich auch, dass wir unser Projekt mit einer gemeinsamen Publikation und einer Patentanmeldung zu fermionischen Schaltkreisen abschließen konnten.
Wie ordnen Sie Ihre Ergebnisse im internationalen Wettbewerb um den Einsatz von Quantentechnologien ein?
Preiss: Ich finde es wichtig zu betonen, dass das Rennen um die “beste Quantentechnologie“ noch sehr offen ist. Es ist sehr spannend zu sehen, welche großen Fortschritte die großen industriellen Akteure im Bereich des Quantencomputing gemacht haben. Gleichzeitig haben die aktuellen, nicht fehler-korrigierten Quantencomputer noch große Probleme, relevante Fragestellungen aus der Vielteilchendynamik oder den Materialwissenschaften zu beantworten. Vielleicht wird sich eine der aktuellen Technologien am Ende als dominierend durchsetzen, vielleicht werden aber auch sehr lange verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Vorteilen für verschiedene Probleme zum Einsatz kommen. Unsere aktuelle Arbeit verfolgt einen Ansatz, der etwas orthogonal zu den vorherrschenden Spin-Quantencomputern mit supraleitenden Qubits oder gefangenen Ionen steht. Einerseits hat unser Ansatz, Quantenchemie mit ultrakalten fermionischen Teilchen zu berechnen, einige klare konzeptionelle Vorteile. Andererseits ist die Technologie noch nicht auf dem gleichen Reifegrad wie andere, kommerziell verfügbare Quantenhardware. Die Rolle der akademischen und industriellen Forschung im Rahmen öffentlicher Vorhaben besteht meiner Meinung nach gerade darin, solch alternative Ansätze zu erforschen und deren Vorteile auszuarbeiten.
Gogolin: Für uns bei Covestro ist es wichtig, einen guten Überblick über alle in der Entwicklung befindlichen Technologien zu behalten. Am Ende ist es uns egal mit welcher Plattform wir unsere Chemie besser simulieren können. Für uns zählt, dass wir unter den ersten sind, die Quantum Computing produktiv nutzen werden und nicht nur auf eine Plattform wetten. Fermionische Elektronen mit einem nativ fermionischen Quantencomputer zu simulieren, hört sich intuitiv nach einer guten Idee an, aber es war gar nicht klar, wie man das im Detail am besten macht. Nun haben wir ein ziemlich gutes Verständnis dafür, was sich an der Hardware noch ändern muss, bevor man erste nicht triviale Experimente machen kann. Gleichzeitig haben die Hardware-Entwicklerinnen und -Entwickler nun ein klares Ziel, auf das sie hinarbeiten können. Sie wissen zum Beispiel ob es dringender ist, die Gatter besser oder schneller zu machen.
Welche Vorteile hatte Ihre Zusammenarbeit? Wo sehen Sie die Chancen? Und gab es besondere Herausforderungen?
Preiss: Es ist ganz klar, dass diese Arbeit nur durch einen interdisziplinären Ansatz möglich war. Im Zuge unserer Diskussionen haben wir entdeckt, dass es ganz frappierende Parallelen zwischen einem theoretischen Ansatz aus der Quantenchemie und der Dynamik von kalten Atomen in optischen Gittern gibt. In der Wissenschaft gibt es bisher niemand, der beide Themengebiete gut genug kennt, um diese Verbindung allein zu entdecken. Die Zusammenarbeit zwischen unseren Disziplinen war also essenziell. Der große Vorteil dieser Zusammenarbeit ist, dass sowohl in der Quantenphysik als auch in der Computerchemie große Expertise zum Verhalten stark wechselwirkender Fermionen besteht. Sobald wir eine Brücke geschlagen und eine gemeinsame Sprache entwickelt haben, können wir unser Wissen gegenseitig nutzen. Für mich war es zum Beispiel total spannend zu sehen, welche klassischen Optimierungscodes in der Quantenchemie im Einsatz sind und wie diese uns helfen, lange ungelöste Probleme ultrakalter Fermigase anzugehen.
Gogolin: Eine große Herausforderung war definitiv eine gemeinsame Sprache zu finden und sich auf Konventionen zu einigen. Da geht es zuweilen um ganz profane Dinge, wie ob man in der Parametrisierung eines Gatters einen extra Faktor zwei einbaut oder nicht. Diese Hürde galt es bei jeder Kollaboration zwischen Theorie und Experiment erneut zu überwinden. Nun haben wir eine Infrastruktur geschaffen, mit der der fermionische Quantencomputer am MPQ direkt programmiert werden kann und all diese Konventionen sind im Code hinterlegt. Dies wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit deutlich vereinfachen und effizienter machen.
Welche Bedeutung hat die Forschungsförderung des BMBF für ihre Zusammenarbeit und die Realisierung Ihrer Projekte?
Gogolin: Für Industrieunternehmen ist Forschung an solch akademischen Themen nur darstellbar mit öffentlicher Förderung. Erst recht gilt das im aktuell schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. Die Fördermaßnahmen des BMBF zielen darauf ab, wie hier geschehen, akademische Forschung und Anwendungen zusammenzubringen. Genau dort sehe ich auch den größten Förderbedarf in Deutschland und Europa für die Quantentechnologien. Wir haben zwar schon seit langem exzellente akademische Forschung und auch die zukünftigen Anwender aus der klassischen Industrie, aber ohne große Technologiekonzerne und Wagniskapitalgeber ist eine Übersetzung der akademischen Arbeitsleistung in wirtschaftlichen Erfolg bei uns sehr viel schwerer als zum Beispiel in den USA.
Preiss: In der experimentellen akademischen Forschung ist die Förderung des BMBF und die damit einhergehende Vernetzung von akademischen und industriellen Forschungseinrichtungen sehr wichtig. Unsere Apparaturen sind komplex und bestimmte Kennzahlen der Hardware können nur verbessert werden, wenn die besten am Markt verfügbaren Technologien eingesetzt werden, oder, noch besser, Technologien gezielt für unsere Anforderungen entwickelt werden. Dafür ist es extrem hilfreich, akademische Forschung mit Technologieunternehmen in BMBF-Konsortien zu verzahnen. Mindestens genauso wichtig ist aber auch der konzeptionelle Brückenschlag zwischen akademischer Forschung und Anwendung. Das ist uns jetzt im Projekt HFAK gelungen, in dem sich ganz klar gezeigt hat, welche Stoßrichtung unsere experimentelle Arbeit verfolgen muss, um für anwendungsorientierte Quantenchemie relevant zu werden.
Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Preiss: Für mich als Experimentalphysiker ist das Ergebnis unserer Arbeit sehr wertvoll. Wir wissen zwar intuitiv, dass unsere Experimente mit kalten Atomen zum Verständnis von fermionischen Systemen aus der Chemie beitragen können, allerdings blieb das bis jetzt eine vage Vorstellung ohne konkrete Zielsetzung. Durch die Arbeit mit Covestro weiß ich nun genau, welche Kapazitäten wir am Experiment entwickeln müssen und wie gut die einzelnen Schritte funktionieren müssen. Dass die Minimalanforderungen nicht sehr weit von dem entfernt sind, was wir heute schon auf unseren Maschinen realisieren können, ist sehr motivierend. Anhand unserer Roadmap können wir nun die nächsten experimentellen Verbesserungen gezielt in die richtige Richtung steuern. Besonders spannend ist, dass wir in einem anderen BMBF-Projekt, FermiQP, genau an der Hardware arbeiten, die notwendig ist, um unseren Vorschlag zu realisieren. Das ist ein glücklicher Zufall, zeigt aber wie wichtig die parallele Forschung an Hardware und Algorithmen ist. Konkret zeigt die Arbeit mit Covestro auch, dass wir sehr davon profitieren können, wenn wir die Technologiereife unserer Apparaturen so weit erhöhen, dass sie als Backend für die Industrie zur Verfügung steht und dieses von Anwendungsexperten wie Covestro genutzt werden kann.
Weitere Informationen
- Veröffentlichung dazu auf PRX Quantum: "Simulating Chemistry with Fermionic Optical Superlattices"
- Förderprojekt HFAK